veröffentlichts am Montag, 14.10.2013
Kitsch-Märkte: Kleinteiliges und Verziertes regt den Konsum an

Gigantischer Wachstumsmarkt ohne Konjunkturprobleme
Während sich die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahren eher moderat entwickelt hat (den letzten größeren BIP-Zuwachs gab es 2010 mit 4,2 %), stellt sich der Konsum von Kitsch-Artikeln mehr und mehr als Wachstumsmarkt heraus.
Der Markt für Geschenkartikel beispielsweise sorgte laut Branchenreport »Geschenkartikel« in Deutschland zuletzt für einen Gesamtumsatz von 10,4 Milliarden Euro.
Was gegenüber 2006 einen Anstieg um 24,3 % bedeutet. Durchschnittlich wird jedes Jahr pro Kopf mehr für Geschenkartikel (127 Euro) ausgegeben als für Bücher (106 Euro), Schuhe (113 Euro) oder Elektro-Großgeräte (97 Euro).
Den größten Anteil am Aufwärtstrend des Geschenkemarktes haben »Wohn- & Tischaccessoires« (33 %) und »persönliche Verwöhnprodukte« (23 %) aus der Sparte Wellness/ Kosmetik sowie Textile Accessoires (10 %).
Aber auch eine klassische Kitsch-Branche wie »Glas & Keramik« erfreut sich reger Nachfrage: Von Januar bis Mai dieses Jahres stieg der Umsatz hier um 8,1 %.
Kitsch-Konsum: emotional und spontan statt rational und kalkuliert
Porzellanengel, Geschenkpapier, Keksdosen, Kerzen, Kerzenhalter, Servietten, Kunstblumen, Kissen, Gläser: Auf den Kitsch-Märkten hat alles seinen Platz, was den reinen Gebrauchswert zur Nebensache werden lässt.Im Vordergrund stehen Emotionen, Inszenierung, Stimmungen, Düfte und jede Menge Verzierungen. Dazu gehört natürlich auch ein Kitsch-Klassiker wie der Gartenzwerg.
Kingfisher in Großbritannien, Europas größter Baumarktketten- Betreiber, konnte seinen Gewinn im ersten Quartal 2011 um knapp 20 % auf 174 Millionen GBP steigern.
Der Grund: Durch das gute Wetter wurden mehr Gartenartikel verkauft, darunter auch 10.000 Gartenzwerge im königlichen Hochzeitsdress (Ende April 2011 fand die Hochzeit von Prinz William und Kate Middleton statt).
In den hiesigen Vorgärten hingegen breitet sich gerade der Buddha-Boom aus. Andreas Floth, Einkaufsleiter der Firma Boltze, dem größten Anbieter von Geschenk- und Dekoartikeln in Europa, erklärte kürzlich in einem Interview: »Alles, was mit Buddha zu tun hat, läuft. Der Markt wächst.«
Und Buddhas gibt es mittlerweile nicht mehr nur als Gartenzwerg- Ersatz. Als Spardose, Teelicht- oder Postkartenhalter und Solarlicht ist er ebenfalls erhältlich.
Kitsch-Produkte: Offline stöbern bringt auch Umsatz
Kitsch-Märkte zeigen uns in Zeiten, in denen vom unaufhaltsamen Siegeszug des E-Commerce die Rede ist, dass auch der stationäre Handel eine Zukunft hat.
Denn gerade beim Kitsch-Kauf geht es ums Stöbern, Wühlen, Suchen und Anfassen. Was auch Dawanda, der europaweit führende Online-Marktplatz für Selbstgemachtes, erkannt hat.
Ende des vergangenen Jahres wurde mit »Snuggery« (auf deutsch: gemütliche Stube) in Berlin der erste Offline-Shop eröffnet, der den Besuchern neben Workshops und Networking-Events über 500 Produkte zum Kauf anbietet ( http://de.dawanda. com/s/Snuggery ). Mittlerweile präsentieren 220.000 Hersteller rund 3,5 Millionen Produkte auf Dawanda, jeden Tag kommen 10.000 hinzu.
Jede Minute wird eine Tasche gekauft, alle 30 Sekunden ein Produkt für Babys und Kinder sowie alle 20 Sekunden ein Schmuckstück: von über 3 Millionen Mitgliedern in 15 Ländern.
Depot setzt konsequent auf Kleinteiliges
Zu den erfolgreichsten Kitsch-Händlern in Deutschland gehört die Gries Deco Company, hinter der unter anderem die Marke Depot steckt. Das Unternehmen hat sich in seinen mittlerweile knapp 400 Filialen in Deutschland, Österreich und der Schweiz neben Wohnraum-Accessoires auf Geschenk- und Dekorationsartikel spezialisiert.
Nach eigenen Angaben betreten jeden Monat rund 700.000 Kunden die Depot- Filialen und sorgen so jährlich für einen Umsatz von knapp 335 Millionen Euro (2009 lag er noch bei etwa 94 Millionen Euro).
Depot hat bereits vor einigen Jahren die Bedürfnisse der Kitsch-Konsumenten erkannt und sich von dem Geschäft mit schweren Gegenständen verabschiedet: Esstische und Sofas wurden aus dem Lager verbannt zugunsten von kleinen und niedrigpreisigen Produkten, die direkt zum Mitnehmen verführen ( www.depot-online.com ).
Butlers: Kult-Kitschmarke mit Tradition
Der Ursprung des Kitsch-Spezialisten Butlers geht bis ins Jahr 1829 zurück. Damals firmierte das Kölner Familienunternehmen unter dem Namen »Wilhelm Josten Söhne«.
170 Jahre danach, im Jahr 1999, wurde in Köln die erste Butlers-Filiale eröffnet. Mittlerweile besuchen rund 40 Millionen Konsumenten weltweit rund 160 Filialen. Seit 2008 wächst die Kitsch-Kette durchschnittlich um 18 % pro Jahr.
Kassenschlager bei Butlers: Dekorationsartikel (31 %), Geschenke (29 %) und Haushaltswaren (25 %). Im vergangnen Jahr hat Butlers einen Rekordumsatz erzielt: Im Vergleich zu 2011 stiegen die Umsätze um 15 % auf knapp über 100 Millionen Euro.
Größten Anteil an dem Umsatzrekord hatte das Weihnachtsgeschäft im Dezember: Innerhalb von nur einer Woche hat Butlers 240.000 Christbaumkugeln verkauft ( www.butlers.de ).
IKEA setzt auf Laufkundschaft
Auch der Möbelgigant IKEA hat das Potenzial der Kitsch-Märkte erkannt. In Hamburg-Altona soll im Frühjahr 2014 der erste IKEA in Innenstadtlage eröffnen.Im Unterschied zu anderen Filialen soll es in dem City-IKEA vor allem Dinge wie Kerzen, Kissen und Kunstblumen zu kaufen geben. Aus gutem Grund: Einen Großteil seines Umsatzes machen die Schweden mit den kleinen Dingen rund um die Kassenzone.
IKEA hat weitere Stadtlagen im Visier: »Wir wollen in Ballungsgebieten wie Hamburg, Berlin, Köln oder München noch dichter an die Kunden herankommen «, gibt Deutschland-Chef Peter Betzel die Strategie vor.
Trendeinschätzung: Ein Ende des Booms der Kitsch-Märkte ist nicht in Sicht. Kitsch- Märkte sind krisenfest. Aber nicht etwa, weil die Konsumenten – durch Niedrigpreise gelockt – verstärkt zum Kitsch greifen.
Beim Kitsch-Kauf geht es nicht um unkontrollierten Konsum von Billigartikeln. Kitsch blendet die Funktionalität von Produkten bzw. Services komplett aus und entführt die Konsumenten (besonders in schlechten Zeiten) aus ihrem komplexen Alltag in neue und ständig wechselnde Themenwelten.
Die Grenzen zwischen Kunst und Kitsch, Ernsthaftem und Spielerei sind dabei fließend. Mehr noch: Auf den Kitsch-Märkten sind sie nicht mehr von Bedeutung, sie werden hier von jedem Konsumenten selbst definiert. Das birgt dauerhaft Potenzial für Neuerungen auf diesen Märkten.